Arbeitsgruppe Paradigmen der Psychiatrie und Psychotherapie

Die AG Paradigmen der Psychiatrie und Psychotherapie beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung theoretischer Konzeptualisierungen von Psychiatrie und Psychotherapie unter sowohl systematischen als auch historisch-kritischen Gesichtspunkten.

Darüber hinaus beschäftigt die Arbeitsgruppe sich mit den theoretischen Grundlagen der Psychopathologie. Sie bedient sich überwiegend geisteswissenschaftlicher Methodik wie Begriffsarbeit und textkritischer Interpretation, führt im Bereich der Psychopathologie jedoch auch klinische Studien durch. Mit ihren Arbeiten möchte sie eine sachgerechte, aber auch kritische Auseinandersetzung mit den historischen und gesellschaftspolitischen Voraussetzungen des Fachgebietes Psychiatrie und Psychotherapie fördern.

Psychiatrisierung

Weltweit ist in den letzten Jahrzehnten ein starker Anstieg psychischer Erkrankungen verzeichnet worden. Während z.B. in den USA aktuell davon ausgegangen wird, dass die Hälfte der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens an einer psychischen Störung gemäß DSM-IV erkrankt, stellen in Deutschlang psychische Erkrankungen inzwischen den zweithäufigsten Grund für länger andauernde Arbeitsunfähigkeit dar. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das Projekt mit der Frage, ob die Menschen tatsächlich immer kränker werden oder ob die steigende Zahl psychischer Erkrankungen nicht vielmehr auf tiefgreifende Veränderungen innerhalb der psychiatrischen Diagnosestellungs- und Behandlungspraxis zurückzuführen ist. Ziel der aktuellen Forschung ist es, gegenwärtige und vergangene Prozesse von Psychiatrisierung nachzuvollziehen.

Sichtbar gemacht werden soll, an welchen Stellen und auf welche Weise die Psychiatrie als Wissenschaft und Praxis ihren Zuständigkeitsbereich immer weiter ausdehnt, immer mehr Individuen unter ihre Deutungshoheit stellt und sich immer tiefer im gesellschaftlichen Gewebe festsetzt. Von besonderem Interesse sind dabei höchstaktuelle Entwicklungen wie stationsersetzende und aufsuchende Behandlungsformen, die Angebote der digitalen Psychiatrie, aber auch die sich kontinuierlich und oftmals wenig sichtbar vollziehende Aufweichung diagnostischer Kriterien und Ausweitung von Indikationen gerade für medikamentöse Behandlungen.

Editionsprojekt Wolfgang Blankenburg

Im Streit der psychiatrischen Theorien des letzten Jahrhunderts kommt Wolfgang Blankenburg eine Schlüsselrolle für die phänomenologisch-anthropologische Psychiatrie zu. Dabei kam es in den letzten Jahren zu einer deutlichen Zunahme des Interesses an Blankenburgs Werk auf nationaler wie internationaler Ebene. Im Rahmen dieses Projektes soll durch die erstmalige, kommentierte Herausgabe der wissenschaftlichen Korrespondenz Blankenburgs veranschaulicht werden, wie dieser eine am konkreten Person sein orientierte Psychiatrie in praktischer wie theoretischer Hinsicht verortet und diese Verortung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Hiermit verbunden sind diverse Archivaufenthalte sowie Kontaktaufnahmen mit lebenden Korrespondenten, um den Schriftverkehr zu sichten, der in Deutschland verstreut ist. Diese Herausgabe schließt an die bereits erfolgte Publikation der Schriften Blankenburgs an („Psychopathologie des Unscheinbaren“, 2007; „Psychopathologie des Könnens“, 2017).

DDR-Akten

Die psychiatrische Abteilung in Rüdersdorf war eine von nur drei Abteilungspsychiatrien, die in der DDR in Umsetzung der Reformvorschläge der Rodewischer Thesen umgesetzt wurden. Aus der anfänglichen Außenstelle der versorgenden Bezirksklinik Eberwalde wurde zunächst ein Pflegebereich für chronische Patienten ausgegründet, der sich später zu einer Akutpsychiatrie entwickelte. In diesem Dissertationsprojekt soll die Entwicklung der psychiatrischen Klinik in Rüdersdorf zu einer der drei Abteilungspsychiatrien der DDR anhand einer vergleichenden Betrachtung der Patientenakten der 1960er mit denen der 1980er Jahre vertiefend untersucht werden. Die Aktenbestände der beiden Gruppen werden hinsichtlich Diagnosen, Verweildauern und Chronizität der Patienten aufgearbeitet. Einzelfälle werden vertiefende untersucht.

Zeitpsychopathologie

Die Phänomenologie der Zeit ist seit langem ein Thema psychopathologischer und psychiatrischer, aber auch philosophischer Forschung. Die Beschäftigung mit dem Vergehen von Zeit aus subjektiver Perspektive nimmt so z.B. eine zentrale Rolle in den Werken Husserls, Heideggers, Jaspers und Blankenburgs ein. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bildete sich in der Psychiatrie die Überzeugung aus, dass der Zeit im Verstehen des inneren Erlebens psychisch Kranker und der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen eine herausragende Stellung zukommen müsse und dass verändertes Zeiterleben womöglich sogar wesentlichstes Differenzierungsmittel psychischer Erkrankungen sein könnte.

Das Verständnis des inneren Erlebens psychisch Kranker ist bis heute wegweisend für Diagnosestellung und Prognose, wenngleich Ansätze einer verstehenden Psychopathologie in den letzten Jahrzehnten durch die sich deskriptiv vollziehende Diagnosestellung nach ICD und DSM eher geschwächt wurden. Ziel des Forschungsprojektes Zeitpsychopathologie ist es, auch vor dem Hintergrund der Unzulänglichkeiten von DSM und ICD, eine Wiederaufnahme der Beschäftigung mit der Bedeutung von Veränderungen des Zeiterlebens für die Psychopathologie anzuregen. In Kooperation mit der psychiatrischen Universitätsklinik Köln wird aktuell eine vergleichende Untersuchung des Zeiterlebens bei verschiedenen psychiatrischen Störungsbildern vorgenommen. In einem zweiten Schritt soll schließlich die Konstruktion und Validierung eines Fragebogens zur präzisen Erfassung zeitpsychopathologischer Phänomenen erfolgen, welcher bspw. zukünftig in der Diagnostik genutzt werden könnte. 

Chronobiologie

Psychiatrische Erkrankungen gehen zu einem sehr großen Anteil mit Störungen der circadianen Rhythmik, der sogenannten inneren Uhr einher. Umgekehrt betrachtet haben Personen mit irregulären Chronotypen (Spättypen – „Eulen“, Frühtypen – „Lerchen“) größere Probleme sich an die sozial vorgegebenen Schlaf-Wach-Rhythmen anzupassen mit entsprechend negativem Einfluss auf sämtliche Vitalgefühle inklusive der Psyche. Dieses Phänomen wird als „Social Jetlag“ bereits erforscht. Dennoch gelang bisher keine einheitliche Zuordnung von Chronotypen als Prädiktor oder Risikofaktor zu den verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbildern, sodass hier weiterer Forschungsbedarf besteht.

Ein besseres Verständnis der Zusammenhänge von Chronotyp und Erkrankungen könnte zum Einen zu einem besseren Krankheitsverständnis und zum Anderen zu einem effektiveren individuellen Behandlungsangebot, z.B. zu gezielt rhythmischem Einsatz der bereits als wirksam erwiesenen Lichttherapie oder zielgerichteter Vermeidung derythmisierender Tätigkeiten, führen.
Gerade ältere Menschen haben größere Probleme mit derhythmisierenden Belastungen wie Schichtarbeit oder mangelnder Möglichkeit physischer Aktivität und Lichtexposition.

Daher ist die Hypothese gerechtfertigt, dass der mögliche pathophysiologisch relevante Einfluss des Chronotyps auf das Risiko psychisch zu erkranken bei älteren Patienten eine größere Relevanz hat. Bisher erfolgte keine spezifische Untersuchung der Chronotypen psychiatrisch erkrankter Patienten unterschiedlicher Altersgruppen. Das Gesamtvorhaben verbindet Untersuchungen zur Biomarkern psychischer Erkrankungen in einer späteren Stufe mit der Entwicklung neuer spezifischer Therapieoptionen im Alter.

 
 
 
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